Die Feiern zum 70. Jahrestag der Landung in der Normandie zeigen, wie sehr wir in alte Denkmuster zurückfallen. Krieg ist wieder legitim. Das Bündnis steht erhaben gegen den Feind. Das ist die PR-Botschaft der kommenden Stunden und Nachrichtenminuten. Es sind Sandkastenspiele der Macht, die wir gerade erleben. Es geht nur darum zu zeigen, wer der Stärkere ist. Vernunft, Einsicht und die Bereitschaft zur Konfliktlösung kommen darin nicht vor.
Schauspiel am „Obama“ Beach
Omaha Beach – der Strandabschnitt an der französischen Atlantikküste – wird zu „Obama“-Beach. Die Inszenierung ist vorhersehbar, einschließlich der Gastrollen. Die Einladung des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko ist nicht nur historisch falsch (die Ukraine bestand in dieser Form während des II. Weltkrieges nicht). Ginge es Obama, Merkel & Co um eine Verständigung mit Putin, hätten sie sich längst an weniger emotional aufgeladenem Ort und bei medial unverfänglicher Gelegenheit treffen können. Zu einem G8-Gipfel zum Beispiel – warum denn eigentlich nicht!? Es ist jedenfalls eine reichlich bescheuerte Geste, den Präsidenten der Ukraine zur Projektionsfläche eines solchen Ereignisses zu machen. Schon wird in den Medien von Verbündeten gesprochen, wenn USA, NATO und die Ukraine gemeint sind. Das alte Feindbild steht wieder. Amerika wird es sich nicht nehmen lassen, die Schlacht so zu inszenieren, dass dabei auch seine gegenwärtige militärische Macht zur Geltung kommt. Obama wird viel von Verbündeten und freien Nationen faseln. Das tut er in gleichem Wortlaut immer, wenn er Regierungen meint, die nach Amerikas Pfeife tanzen. Freie Nationen sind schon deshalb Unfug, weil nicht Länder sondern nur Menschen frei sein können. Aber wozu jedes Wort der Propaganda auf die Goldwaage legen?
Kalkulierte Demütigung für die Russen
Dieser 70. Jahrestag des D-Day wird eine Demütigung für die Russen sein. So ist er inszeniert. Nur so passt der Tag ins Bild. Putin wird als Zaungast in Szene gesetzt werden, als aussätzig und protokollarisch weitgehend außen vor. Es ist sowieso ein schwieriger Tag für Russen. Die Darstellung des D-Days als entscheidende Wende im Zweiten Weltkrieg setzt den Kampf der Roten Armee herab, die sich zu diesem Zeitpunkt zu Fuß von Stalingrad bis tief ins Deutsche Reich vorgekämpft hatte. Im Kontext der aktuellen Spannungen zwischen NATO-Staaten und der Ukrainie auf der einen und Russland auf der anderen Seite bekommt das archaische Motiv einer heroischen und opferbereiten westlichen Allianz einen gefährlichen Dreh. Die Kameras werden jede Mimik Putins beobachten und das kleinste Zucken hinter der Sonnenbrille wird zitiert und kommentiert werden. Es ist sehr bemerkenswert, dass der russische Präsident überhaupt hinfährt. Er hätte auch dankend ablehnen können. Ich bin gespannt auf die Bilder aus der Normandie. Zurückhaltung gegenüber Moskau wird es nicht geben. Erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang an die Eröffnungsfeier bei den olympischen Spielen in Sotschi – Putins Spielen, wie sie hierzulande bezeichnet wurden. Der Gastgeber hatte damals seine Geschichte in Bildern gezeigt. Nach meinem Dafürhalten verzichteten die Russen aus Rücksicht vor den deutschen Gästen auf jede Darstellung des Großen Vaterländischen Krieges, wie sie den II. Weltkrieg dort immer noch nennen. Diese kleine, für die Berichterstattung offenbar unbedeutende Geste hat mich sehr beeindruckt.
Merkels Politik ist grob fahrlässige Kriegstreiberei
Seit Wochen erteilt der Westen dem frisch restaurierten Feind in Moskau unerfüllbare Auflagen. Bundeskanzlerin Angela Merkel treibt den russischen Präsidenten Wladimir Putin in ein Dilemma nach dem anderen. Erklär mir einer, welchen Ausweg die russische Regierung bei solchen Forderungen hat: Einerseits möge sich Russland vollständig aus der Ukraine heraushalten. Andererseits sollte Putin einen fairen Verlauf der Wahlen in der Ostukraine garantieren. Einerseits wird Moskau zum Abzug seiner Truppen aus dem tausend Kilometer langen Grenzgebiet aufgefordert. Andererseits soll es seine Grenze so sichern, dass keine Waffen und Söldner mehr in die Ukraine kommen. Merkel forderte sogar, Putin solle den neuen ukrainischen Präsidenten anerkennen. Wann hat Moskau ihn eigentlich nicht anerkannt? Wieso sollte überhaupt ein fremdes Land den gewählten Repräsentanten eines Staates „anerkennen“? Das ist im oft zitierten Völkerrecht nicht vorgesehen. Die Merkel hat doch auch nicht auf Obamas Anerkennung gewartet. Hoffentlich jedenfalls! Wer mit unerfüllbaren Forderungen Politik macht, baut verhängnisvolle Fallen. Doppelbindungen heißen diese Situationen in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Wer sie bewusst als Machtinstrument einsetzt, handelt grob fahrlässig. Solche Situationen sind der Treibsatz für kriegerische Konflikte, die Lunte am Pulverfass. Was mir in den Reden Obamas und Merkels fehlt und was auch ein D-Day nicht erwarten lässt, sind Demut, Selbstreflexion und die Bereitschaft zur Kritik am eigenen Handeln. Man kann die Landung in der Normandie als den Sieg des Guten über das Böse inszenieren. Man kann an diesem Ort aber auch erfahren, dass die Scheiße, die den Soldaten in der Hose steht, auf allen Seiten gleichermaßen stinkt. Muss das so drastisch sein? Ja, denn der D-Day war keine Schlacht sondern ein übles Schlachten auf beiden Seiten. Er sollte Mahnung sein, dass es Mittel und Wege geben muss, eine Neuauflage zu verhindern.