Mein lieber Joffe! An den Chefkriegstreiber* der ZEIT

Josef Joffe, Leitartikel in der Zeit

Mein lieber Joffe,

seit ich DIE ZEIT abonniert habe, lese ich mit Vorliebe Ihre zwiespältigen Einspalter. In der Regel erscheinen sie hier in der Lausitz auf den Seiten „Zeit im Osten“, was ich mit einer Art Missionarsstellung als transatlantischer Agitator in Verbindung bringe. Ich werde jetzt das Urheberrecht soweit wie möglich dehnen, um auf Ihren Leitartikel vom 5. Februar 2015 zu antworten. Sie kennen solche Auslegungen vom Völkerrecht. Was Amerika und Russland dürfen, darf ich schon lange! Ich werde Wort für Wort zitieren und darauf eingehen. Es steht Ihnen frei zu antworten. Ich würde mich darüber freuen. 

Thema: Sicherheitskonferenz

Überschrift: Krieg gegen die Unfassbaren

Unterzeile: Moderne Aggressoren halten sich an keine Regeln mehr VON JOSEF JOFFE

Da geht’s schon los. Gibt es altmodische Aggressoren, die vorher anklopfen? Sie haben mir eine romantische Vorstellung von Krieg!

Auf der 51. Münchner Sicherheitskonferenz, dem Jahrestreff der Großen von Gauck und Merkel bis zu Kerry und Lawrow, geht es, um was sonst?, um die Ukraine und Terror. Das eigentliche Thema aber ist ein psychologisches, ja philosophisches. Das „Ende der Geschichte“ – der Triumph der Demokratie, die Befreiung der Welt – währte genau zehn Jahre: vom Kollaps der Sowjetunion 1991 bis zum New Yorker Terror-Blutbad 2001. Der Krieg, scheinbar entmachtet, kehrt zurück in zweifach neuer Gestalt.

Lassen Sie mich hervorheben, dass der erste Absatz unwiderlegbare Fakten enthält. Das wird sich gleich ändern. Es ist tatsächlich die 51. Münchner Sicherheitskonferenz und die Namen der Politiker sind korrekt buchstabiert. Über die Größe lässt sich streiten, denn die hat im Ukraine-Krieg noch keiner der genannten, mittelbar und unmittelbar Beteiligten gezeigt. Größe, mein lieber Joffe, wäre das Eingeständnis von eigenen Fehlern. Der andauernde Fingerzeig auf andere ist purer Kleingeist, der uns in den Krieg treibt. Vielleicht war das in Verbindung mit Macht schon immer so. Da erlaube ich mir kein Psychogramm.

Zum vorübergehenden Ende der Geschichte (1991 bis 2001) – folgende Kriege haben Sie vergessen:

Ich war überrascht, so viele Kriege in diesen zehn Jahren zu finden. Die Recherche dauerte ganze zwei Minuten, falls sie sich auf fehlende Zeit bei der ZEIT herausreden wollen. Überprüfen Sie bitte Ihre Lehrbücher an der Stanford University, ob die Kriege drin stehen. Womöglich hat Ihnen nur jemand die Seiten rausgerissen. So ein serbischer oder russischer Lümmel in der dritten Bank! Die Jugoslawienkriege halte ich für bemerkenswert, denn sie sind der Anfang einer Geschichte von näher rückenden Kriegen, ethnisch-religiöser Aufladung von Konflikten und davon, dass niemand etwas daraus gelernt hat.

Die größte Unterschlagung ist jedoch der Kosovo-Krieg. Sie müssen sich doch daran erinnern! Damals waren Sie bei der Süddeutschen Zeitung und schrieben begeisterte Abhandlungen zur Überlegenheit von F-16 Kampfbombern und lobten die Präzision, mit der NATO-Piloten Eisenbahnbrücken nebst Personenzügen und Straßen samt Flüchtlingskonvois platt machten. Mich kennen Sie auch von damals, denn ich habe Texte der NATO-PR, von SZ und The Guardian zum Kosovo wissenschaftlich untersucht und festgestellt, dass Ihr Eifer größer war als der des NATO-Sprechers Jamie Shea. Ein Kollege sagte mir, Sie seien nicht amüsiert gewesen. Also bitte, erinnern Sie sich, denn Amnesie ist nicht hilfreich für die Titelseite einer liberalen Wochenzeitung!

Es mag sein, dass Ihnen das eine oder andere Gemetzel nicht groß genug war, aber den Kosovo-Krieg vergessen? Das war unser erster richtig schöner NATO-Krieg mitten in Europa! Damals vollzog sich der Wandel vom Verteidigungsbündnis zum stellvertretenden Kombattanten der USA. Die Propaganda wurde später überführt. Scharping, Fischer-Joschka, Lüge vom Hufeisenplan, dämmert’s? Mensch Joffe, an die Russen werden Sie sich doch erinnern! Sie haben schon einen Monat nach dem Ende des Kosovo-Krieges das gleiche über Jelzin geschrieben wie heute über Putin. Russland war schon damals für Sie eine „Pleite-Nation„. Heben Sie Ihre Texte nicht auf? Muss ich erst einen Joffe-Watch-Blog aufziehen?

Die eine (der zweifach neuen Gestalten des Krieges, d.A.) ist der Terror mit seiner abgrundtiefen Grausamkeit, gegen den die besten Waffen der Staaten versagen, weil er kein Ziel bietet.

Geben Sie es jetzt also zu? Es gab in Afghanistan, Irak und Syrien niemals Ziele, die etwas mit Terrorismus zu tun gehabt hätten. Darf ich Sie so verstehen? Was machen Dschihadisten jetzt mit Ihrem Text? Die nehmen das doch glatt als Beweismittel für ihre These, dass amerikanische Drohnen überwiegend Unschuldige terrorisieren und hängen das im Rekrutierungsbüro aus.

Wen abschrecken, gar besiegen, wenn der Terror keine Adresse hat, sondern unvernetzt und unerkannt im eigenen Land lauert?

Jetzt schrecken Sie mich aber ab! Ich denke, die Adresse des internationalen Terrors hat sich gerade geändert. Al Kaida ist doch umgezogen nach Islamischer Staat, oder nicht? Ach, Sie meinen Kriminelle im eigenen Land! Die sind doch bekannt. Jede Woche erzählt mir jemand in den Nachrichten, dass irgendein Innenminister die Salafisten durchgezählt hat. Das Parlament beschränkt gerade deren Reisefreiheit und merkt gar nicht, wie Achtziger und Honnecker das ist! Ich will das etwas weniger polemisch sagen: Sie können nicht in der einen Woche den Geheimdiensten ein Loblied singen und in der anderen behaupten, das nutzt alles nichts!

Die zweite, ebenfalls kaschierte Schreckensgestalt zeigt sich in der Ukraine. Hier hat Putin eine neue Kriegführung erfunden: Mit Panzern ohne Herkunft, mit Truppen ohne Abzeichen. Es seien ja nur Aufständische, die ihr Recht forderten, flötet der neue Zar. Die modernen Waffen aus dem russischen Arsenal müssen sie geklaut haben.

Lieber Joffe! Als Edelfeder unter den Falken können Sie über Putin vieles schreiben, aber dass er der Erfinder der Kriegs-List wäre, ist zuviel der Ehre! Auf den Trick mit den Uniformen der Anderen und den Panzern ohne Aufkleber sind Schurken vor ihm auch schon gekommen. Ihre gespielte moralische Entrüstung ist aus einem weiteren Grund idiotisch: Sie denken nicht über Alternativen nach. Wäre ein offenes militärisches Eingreifen Moskaus besser? Hätten wir den NATO-Bündnis-Fall dann schneller ausrufen können, weil ein Durchmarsch nach Polen und Rumänien befürchtet und an die Wand projizierbar geworden wäre? Vorwärtsverteidigung, wie Sie das bestimmt nennen würden, von beiden Seiten? Einmal über die Ukraine hinweg und zurück? Mehr Mobilmachung statt Kindergarten von der von der Leyen?

Ich kürze hier ein wenig, weil ich das Urheberrecht respektieren möchte, so wie die USA das Menschenrecht auf ein Leben in Frieden immer respektiert haben, auch wenn es hier und da etwas Napalm oder Kernschmelze brauchte, um der Welt das klar zu machen. Ihr Text dreht sich im Weiteren im Kreis. Feindbild Putin. Das Böse und seine Adresse. Wir wissen, wie das weitergeht. In den Denkpanzern – deutsch für Think-Tanks – werden alle Szenarien besprochen sein. Ist Ihnen jemals in den Sinn gekommen, dass Milliarden Dollar, die zum Pimpen von Marionetten aufgewendet werden, noch jeden Brunnen vergiftet haben – auch den auf dem Maidan in Kiew? Wer oder was bringt Menschen wie Sie zu der verrückten Annahme, solche Interventionen, respektive Investitionen, seien wirkungslos? Ich bin jedenfalls gespannt, ob die NATO das fiese Arschloch aus dem Kreml gebombt kriegt, so wie den Gaddafi aus seinem Kraton. Denn darauf läuft es doch hinaus, nicht wahr? Rhetorisch sind Sie genau da angekommen!

„Wer kann, der tut.“

Da haben Sie recht, mein lieber Joffe!

* Eine Anmerkung zum Begriff des Chefkriegstreibers. Meiner Meinung nach gehört dieser Titel ins Impressum neben Ihren Namen. „Wortführer transatlantischer Ideologie und Herausgeber von Propaganda“ war mir zu sperrig. Fakten weglassen oder verdrehen, Gegner dämonisieren – das ist Grundkurs für Spin-Doctors, PR-Rekruten mit Kampfauftrag. Gute Journalisten handeln anders. Sie machen sich nicht gemein mit einer Sache, auch keiner guten. Sie erinnern sich an den Hajo Tagesthemen. Bessere Journalisten stellen in Frage, vor allem die landläufige oder vorherrschende Meinung, sie machen sich zum kritischen Geist hinter jeder Sache, erst recht der eigenen!