Wer bist du, Mädchen mit dem Pferdeschwanz?

In meiner Heimatstadt Hoyerswerda ist heute ein Denkmal für die Schriftstellerin Brigitte Reimann eingeweiht worden. „Die Liegende“ des Bildhauers und Namensvetters Thomas Reimann ist pünktlich fertig und ausschließlich aus Spenden finanziert worden. Hier sind ein paar Eindrücke und die Wiederholung meiner Kolumne vom Silvestertag 2012.

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Bemerkenswert finde ich, das Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff zur Einweihung von der „größten Schriftstellerin unserer Zeit“ gesprochen hat. Er war mit Freunden der Reimann-Gesellschaft aus ihrem Heimatort Burg gekommen. In ihren acht Jahren in Hoyerswerda hatte sich das „Mädchen mit dem Pferdeschanz“ (Anna Seghers) an der Stadt und ihren Menschen aufgerieben. Ihr bekanntester Roman „Franziska Linkerhand“ spielt in „Neustadt“. Sie meint Hoyerswerda.

Kolumne „Auf dem Prüfstand“ vom 29.12.2012, Sächsische Zeitung, Hoyerswerdaer Tageblatt

Wer bist du, Mädchen mit dem Pferdeschwanz?

2013 wartet Linkerhand.

Man soll sich etwas vornehmen für ein neues Jahr. Ich werde ein Buch lesen. Das ist eine Herausforderung, denn dieses Jahr war es nur ein halbes.

Ich werde Brigitte Reimann lesen: „Franziska Linkerhand“. Wenn Sie darauf bestehen, werde ich sogar daraus vorlesen. Die Lesung mit dem Kunstverein im Schloss war nämlich einer der schönsten Momente dieses Jahres, für den ich zwischen den Zeilen Danke sagen möchte.

Die Schriftstellerin Brigitte Reimann hätte für 2013 ihren 80. Geburtstag vorbereiten können. Im Februar ist auch ihr 40. Todestag – Gelegenheit für ein lokales Sonderfeuilleton, dass sich mit einem Tabu auseinandersetzt: Wie konnte sich ein Gerücht über vier Jahrzehnte festfressen? Fragen Sie in Hoyerswerda mal jemanden: Wie ist Brigitte Reimann gestorben? Sie kriegen bis zum „Sprung aus dem Hochhaus“ alle möglichen Geschichten zu hören. Es klingt dann nach gescheiterter Existenz, sozialistischer Tristesse oder kommunistischem Übereifer, je nach Standpunkt. Dass sie an Krebs starb, im Krankenhaus in Berlin, nachdem sie der Stadt längst den Rücken gekehrt hatte, ist kaum bekannt.

Hamburger Abiturienten dagegen erkannten ein Leben voller Leidenschaft und schriftstellerischer Meisterschaft. Im Internet habe ich ihr Linkerhand-Exzerpt gefunden. 2009 war’s Pflichtbuch in HH, um mal das Kennzeichenkürzel zu bemühen – unsere größte Errungenschaft dieses Jahres. Und in HY? Das Tageblatt sollte im Schultest die Deutschlehrer beiseite nehmen: Was haben Sie vor, im kommenden Reimann-Jahr? Franziska, die Architektin in „Neustadt“ passt in den sächsischen Lehrplan. „Junge Menschen in der Literatur“ oder „Deutschsprachige Literatur nach 1945“ sind geeignete Rubriken darin. Nur zu!

Aber ich rede hier von einem Buch, das ich selbst jahrelang nicht angerührt habe. Warum nicht? Aus Vorurteil – bestimmt. Ich wusste nicht einmal, dass es unfertig blieb. Ein Buch also, dem der Schluss fehlt, wie einem Leben das mittendrin aufhört, oder das sich gerade dadurch fortschreibt. Wussten Sie, dass von Brigitte Reimann nach ihrem Tod mehr Bücher erschienen sind als zu Lebzeiten? Die meisten waren Briefe, wie der über eine Begegnung mit Kollegin Anna Seghers auf einer Kulturkonferenz des Zentralkomitees der SED: „Sie zog mich an den Haaren und fragte mit ihrer rauen Mainzer Stimme: «Wer bist du, Mädchen mit dem Pferdeschwanz, du bist mir schon öfter aufgefallen.»“

Finden wir es heraus! Vor uns liegt ein ganzes Jahr, in dem wir über die Reimann diskutieren und streiten können. Ermutigt durch die Hamburger Abiturienten habe ich Franziska Linkerhand quer gelesen. Unmöglich, so dicht ist der Text. Kapitel 13: „Wer Maltes Kopf aufs Pflaster geschmettert hatte, konnte nicht mit Sicherheit ermittelt werden; die Angeklagten beriefen sich auf Trunkenheit, die Zeugen (die Mitschuldigen, sagte Franziska) gaben unklare Auskunft, widersprachen einander oder wollten nichts gesehen haben.“ Und: „ Die Leute haben zugesehen …“

Nun bin ich wirklich neugierig. Hat Brigitte Reimann womöglich Antworten auf Fragen von 1991 gegeben? Und: Wird Ihr Denkmal bis zum Geburtstag am 21. Juli in (der) Neustadt stehen?

Anmerkung: Die Einweihung des Reimann-Zeichens war am 21. Juli 2013, 11.00 Uhr im Stadtpark der Hoyerswerdaer Neustadt. „Franziska Linkerhand“ habe ich heute früh aus dem Bücherragal geholt und in Lesebereitschaft versetzt.

Links

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